Babette, die kleine Schmiedemaus

    von Waltraud Lahn, Blankensee













(Zeichnung: Brita Feustel, Blankensee)


„Pass auf wo du hin trittst, du hättest mich beinahe erwischt“.

Babette ist ziemlich erschrocken, denn der freche Kater Felix passt nie auf, er liegt unter dem Vogelhäuschen und streckt sich zufrieden. Dabei kommt seine Pfote bedrohlich nahe an sie heran.

Das fehlte gerade noch, dass er auf sie tritt. Bis jetzt hat sie sich tapfer geschlagen, sie ist allen Gefahren immer rechtzeitig ausgewichen, aber der Hunger macht sie ein wenig unvorsichtig.

Der Winter ist mit Schnee und Eis und ohne Vorwarnung eingebrochen, das ist in jedem Jahr dasselbe.

Eigentlich wollte sie schon schlafen wenn es kalt wird, aber sie hatte wieder den rechten Zeitpunkt verpasst. Was mache ich denn jetzt denkt sie, denn der Hunger quält sie sehr.

Die Nachbarn füttern schon die Meisen, da bleibt immer etwas für mich übrig, ich sehe mal nach was die so raus werfen.

Und schnell läuft sie über den Hof, zum Futterhäuschen. Die Meisen sind so verwöhnt, die essen nur noch Sonnenblumenkerne und Nüsse, die werfen den guten Weizen und Hafer aus dem Häuschen heraus.

Das ist für ein hungriges Mäuschen der reine Segen.

Felix beobachtet interessiert das lustige Hin- und Hergeflatter. Seine Menschenfamilie hat ihn nach dem Futter benannt, das er täglich zweimal bekommt. Der hat es gut, der braucht nie zu hungern, der will wirklich nur mit den Meisen spielen, sagt er. Essen will er sie nicht, mich will er auch nicht essen und das ist wirklich wahr, wir sind gute Freunde, das schwöre ich. Zuerst bin ich immer weggelaufen, wenn ich ihn gesehen habe. Meine Mama hat gesagt, dass ich mich vor Katzen in acht nehmen muss.

Einmal war ich eingeschlafen und habe gar nicht bemerkt, dass Felix sich vorsichtig angeschlichen hatte. Ich wurde wach, weil etwas über meinen Rücken strich. Ich wäre fast vor Angst gestorben als ich die Augen aufmachte, um nachzusehen, was da über meinen Rücken streicht.

Felix hatte seine rechte Pfote auf meinen Schwanz gelegt und leckte mit seiner langen rauen Zunge über meinen Rücken und schleckte mich vom Kopf bis zu den Pfoten ab, er schnurrte zufrieden und sah mich aus seinen grünen Augen aufmerksam an. Vor Schreck konnte ich nicht einmal um Hilfe rufen und so habe ich mich tot gestellt, das kann ich gut.

Nach einer Weile, ich dachte schon, dass er mit seiner rauen Zunge all mein Fell abgeschleckt hat und meine letzte Stunde geschlagen hätte, drehte er mich um und sagte, mit halb geschlossenen Augen: „Du kannst die Augen ruhig auf machen, ich mag deine kleinen Knopfaugen, bitte, sieh mich doch an, ich werde dir bestimmt nichts tun!“ Ich habe ganz vorsichtig die Augen geöffnet und er hat mir wirklich nichts getan.

Seit dieser Zeit sind wir dicke Freunde, Felix besucht mich fast jeden Tag in der alten Schmiede und dann plaudern wir von alten Zeiten.

„Was machst du denn hier am Vogelhäuschen, Felix“, habe ich ihn gerade gefragt, „warum kommst du nicht hinein zu mir, es ist ganz gemütlich, lass die Meisen doch in Ruhe. Wir können uns in unsere Lieblingsecke kuscheln und von alten Zeiten träumen!“

„Na, so gemütlich wie früher ist es ja auch nicht mehr, “ erwiderte Felix, „seit die hier aufgeräumt haben sind die ganzen gemütlichen Ecken weg, früher war es schöner!“

„Mir gefällt es so ganz gut,“ sagt Babette, „so wie früher wird es ja doch nicht mehr werden, es ist doch ganz schön, so wie es jetzt ist. Wenn wir es uns an unserem Lieblingsplatz gemütlich machen und du mich auf deinem Kopf, zwischen deinen Ohren, sitzen lässt!“

„Das habe ich nie begriffen, dass du so gerne auf meinem Kopf  sitzt, was ist daran so besonders, für mich ist es doof, ich kann dir nicht in deine süßen Knopfaugen sehen,“ Felix seufzt tief, „das mache ich doch so gerne!“

„Aber ich habe von da oben die schönste Aussicht und wenn die Sonne scheint, dann kann ich durch die Ritze sehen und mich ein bisschen von der Sonne wärmen lassen!“

„Ich würde dich so gerne mit meinem Atem wärmen, Babette!“

„Ach, weißt du, dass ist mir zu gefährlich, da kommst du mir mit deinen Zähnen zu nahe heran!“

„Aber Babette, wie oft soll ich dir noch schwören, dass ich dich nie verletzen würde, du bist doch mein Lieblingsmäuschen!“

„Das glaube ich dir ja auch, du würdest mich wahrscheinlich im Ganzen verschlucken und außerdem hast du Mundgeruch!“

„Wie kannst du nur so gemein sein, Babette, ich kann gar keinen Mundgeruch haben, meine Menschen geben mir immer solche Kügelchen gegen Mundgeruch!“

„Na, das wird ja wohl einen Grund haben, Felix. Weißt du überhaupt, wie die Ritze entstanden ist, habe ich dir das schon einmal erzählt?“

„Nein, als die entstanden ist, war ich noch nicht hier, erzähl es mir Babette, ich bin sehr gespannt!“

Felix reckt sich ein bisschen, legt sich an seinen Lieblingsplatz, links hinter dem Amboss,  und flink, wie Mäuschen nun mal sind, ist Babette auch schon auf seinem Kopf zwischen den Ohren. Sie drückt ihren Kopf in sein rechtes Ohr und beginnt zu erzählen.

„Weißt du, Felix, das war so, meine Großmutter Auguste, die hatte auch immer Hunger. Sie war eine Schulmaus und in der Schule gab es nichts, was man essen konnte, nicht einmal Papierreste waren übrig. Die Kinder haben immer ihre Brote selber gegessen, nicht einmal einen Krümel haben sie übriggelassen und der Lehrer war auch ein armer Mann, der seine Pausenbrote ganz alleine gegessen hat und die Krümel hat er mit dem Finger aufgetippt, es ist nichts übrig geblieben. Nach dem Leben haben sie ihr auch getrachtet. Da ist sie dann mit verweinten Augen und hungrigem Magen über das Feld gelaufen und es war schon Winter und es war bitter kalt. Auf den Feldern gab es auch nichts mehr zum essen und ihr Magen knurrte so laut, dass sogar die Feldmäuse wegliefen, weil sie dachten, das sei eine Katze. Einmal ist sie so weit gelaufen, dass sie bis in die Schmiede kam. Erschöpft und müde ist sie eingeschlafen, denn hier war es wenigstens warm und kuschelig und ein paar Krümelchen hatte sie auch gefunden, gleich links neben dem Amboss.

Durch einen lauten Schlag wurde sie unsanft geweckt, der Boden zitterte und sie ist aufgesprungen und hat ein Versteck gesucht, aber es war keins zu finden, überall lagen nur Hufeisen herum. Da ist sie in diese Ecke verschwunden und hat verzweifelt an einem Brett genagt und genagt und genagt, bis sie es beinahe durchgenagt hatte.

Plötzlich aber, kam eine große Menschenhand auf sie zu und ehe sie noch weglaufen konnte, hatte die Hand schon zugegriffen. Es war die große Hand vom Schmied. Meine Großmutter hat vor Angst ganz  laut geweint aber der Schmied hat sie gestreichelt, ungefähr so, wie du damals, mit deiner Zunge, die Hand war nämlich genau so rau.

„Du brauchst doch keine Angst zu haben“, hat er gesagt und dann hat er ihr etwas von seinem Leberwurstbrot gegeben und sie hat es gegessen und hatte keine Angst mehr.

„Du erzählst mir doch Märchen, Babette, das gibt es doch gar nicht und woher willst du das denn wissen, deine Großmutter ist doch schon lange tot!“

„Mama hat es mir erzählt und die hat es gelesen, meine Großmutter hat es nämlich aufgeschrieben!“ Babette macht sich ordentlich groß, wie sie das erzählt.

„Das du mich so anlügst, Babette, das ist ziemlich gemein, das hätte ich nicht von dir gedacht!“

„Aber ich lüge nicht, das ist die reine Wahrheit!“

„Doch lügst du, seit wann können Mäuse schreiben?“

„Ich habe dir doch gesagt, dass meine Großmutter eine Schulmaus war, sie hat mit den Kindern gelernt. Sie hat immer oben auf der Gardinenstange gesessen und alles gelernt, was die Kinder auch gelernt haben. Sie konnte lesen, schreiben und rechnen, jawohl, und meine Mama hat es von ihr gelernt!“

„Das glaube ich dir nicht, aber erzähle ruhig weiter, du kannst so schön erzählen, ich höre dir so gerne zu!“ Felix rückt noch ein bisschen näher an den Amboss heran, das ist nämlich sein Lieblingsplatz, da ist es schön gemütlich und man ist nicht gleich zu sehen, wenn die Schmiedetür auf geht.

„Na gut“ sagt Babette, „aber unterbrich mich nicht. Meine Großmutter hat aufgeschrieben, dass sie nun jeden Tag in die Schmiede gegangen ist. Der Schmied, er hieß übrigens Fritz, hat immer, wenn er meine Großmutter sah, ein bisschen von seinem Pausenbrot abgebrochen und es auf die Erde gekrümelt, gleich da, neben dem Amboss. Es waren wunderbare Zeiten für meine Großmutter Auguste. Sie hat sich einen flotten Feldmäuserich gesucht und eine Familie gegründet. Aber die hat sie vor Fritz versteckt, damit er nicht denkt, er muss so viele Mäuse füttern. Sie war eine kluge Maus, das kannst du mir glauben.

Meine Mutter hatte viele Geschwister, denn die Zeiten waren gut, der alte Schmied hat gerne etwas von seinem Pausenbrot abgekrümelt, das übrige Brot hat er immer auf den Amboss gelegt, da hat es Großmutter geholt und an die Kinder verteilt. Aber eines Tages kam der alte Schmied nicht mehr, das Feuer wurde nicht mehr angezündet und der Amboss begann zu rosten. Das war eine sehr traurige Zeit. Großmutter hat erst ein bisschen geweint, aber dann ist sie mit ihrem Feldmäuserich zu seiner Familie gezogen. Nur meine Mutter ist hier geblieben, für sie hat das Essen immer gereicht. Sie hat wilde Blumen und Grassamen gegessen und ich habe das auch so gelernt!“

Felix war ganz ruhig geworden, er schnurrte noch nicht einmal mehr.

„Du weißt so schöne Geschichten, Babette, wie gut, dass wir uns gefunden haben, es wäre so langweilig ohne dich, weil du auch so schön erzählen kannst!“

„Das ist keine Geschichte, Felix, das ist wirklich, wirklich wahr, das habe ich dir doch schon gesagt!“

„Ja, ja“ sagt Felix und schläft zufrieden ein, ein bisschen schnarcht er sogar.

Und wenn er wach wird, sitzt Babette noch immer zwischen seinen Ohren, weil sie da so gerne sitzt und wird ihm weiter erzählen, wie das damals in der alten Schmiede war.


Und sie kennt noch viele schöne Geschichten!  





Wenn Ihnen diese kleine Geschichte gefallen hat und Sie weitere Geschichten der Autorin Waltraud Lahn lesen möchten, senden Sie bitte eine E-Mail an Frau Lahn.


waltraud.lahn@freenet.de